Zum Inhalt springen

Rückblick auf die Eröffnung der Festivalwochen

Am 29.08.2022 starteten die Festivalwochen des „Zukunft Bau Pop-up Campus“. Sie sind der Höhepunkt der vom „BMWSB – Innovationsprogramm Zukunft Bau“ geförderten, temporären Umnutzung des Bestandsgebäudes in der Theaterstraße 92 in Aachen. In einem Zeitraum von zwei Wochen werden täglich zukunftsweisende Forschungsprojekte in Form von Ausstellungen, Exponaten, Demonstratoren und Prototypen zur Schau gestellt. Zudem gibt es in diesem Zeitraum täglich Workshops und Diskussionsrunden, in denen Jeder aktiv mitdiskutieren kann.

Zum Auftakt der Festivalwochen besuchte die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz, den „Pop-up Campus“. In einer Führung von der Werkstatt über die zwei Ausstellungsgeschosse bis zum klimatisch vermessenen „Biotop“ im Dachgeschoss der ehemaligen Bausparkassen-Filiale aus den 70er Jahren, begutachtete die Bundesbauministerin die ausgestellten Prototypen und befürwortete die geförderten Modellvorhaben. Die graue Struktur der Regelbürogeschosse und Bürozellen vermischt sich mit experimentellen Ausstellungskabinetten in neuer Farbgebung. Zum ersten Mal befinden sich Holz, Lehm, Pilz, Papier und Bambus als Baumaterialien im Haus. Der politische Wille tradierte Pfade zu verlassen ist vorhanden – „wendet uns!“; ist die Devise.

Besuch der Bundesbauministerin
Besuch der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Klara Geywitz am Pop-up Campus, 29.08.2022

In einer anschließenden Reihe an Eröffnungsvorträgen bekundeten beteiligte Akteure mögliche Zugänge zur angestrebten „Bauwende“. Helga Kühnhenrich (BBSR), Dipl.-Ing. Univ. Prof. Axel Sowa (RWTH) und Dr.-Ing. Univ. Prof. Christian Raabe (RWTH) leiteten das Gespräch zwischen den „Keynotes“ der Stadtbaurätin Aachens Dipl. -Ing. Frauke Burgdorff, Prof. Thomas Auer (TU-München), Dr. Linda Hildebrandt (RWTH) und Prof. Freek Persyn (ETH Zürich). Problemstellen im Bauwesen wie die suffiziente Nutzung von Flächen, gesellschaftlicher Anpassungsdruck, die Verantwortung der Universitäten, Potentiale durch von Krisen gestörte Rhythmen und Routinen, der Transfer von Theorie in die Praxis, neue Werte und aktiv herbeigeführte Irritationen im Planungsprozess wurden aufgezeigt. Zumindest aber wollen die Fachexperten etwas sein, dass klimaneutral heißt. Das recycelte Mobiliar für die Gäste ist sinnbildlich für die Aufgaben des zukünftigen Bauens – Ihre Priorität liegt nicht auf der Bequemlichkeit, sondern der Wiederverwertung des bereits Vorhandenen. Veränderung ist unbequem.

Besucher und Mobiliar
Kuratorin Adria Daraban begrüßt die Besucher vom BMWSB, BBSR und RWTH Aachen.
Besichtigung der Exponate
Besichtigung der Exponate. Prof. Moritz Dörstelmann stellt das Projekt „Recode Wicker“ vor.

Der Umgang mit Baumaterialien soll zirkulär werden; nicht aber die Gespräche darüber. Um einen progressiven Diskurs zu befördern wurden Thementische mit vier verschiedenen Perspektiven auf die „Bauwende“ angelegt. Sie alle vereint die Überzeugung davon, dass die Baupraxis in Zukunft „andersartig“ verlaufen muss. „Anders mit Ort und Bestand umgehen“, „Anders mit Material umgehen“, „Anders planen und konstruieren“ und „Anders mit (Bau-)Technik konstruieren“ waren die Themen der Gesprächsgruppen. Außerdem war man sich bewusst, dass Fortschritt nicht durch Konkurrenz, sondern nur in Kooperation gelingen kann. So bemühten sich Vertreter der vier Thementische in einer anschließenden Podiumsdiskussion um eine konfrontative und zugleich produktive, öffentliche Debatte.


Themengruppe: "Anders mit Ort und Bestand umgehen"
Themengruppe: „Anders mit Ort und Bestand umgehen“

In der Gruppe „Anders mit Ort und Bestand umgehen“ war man sich einig: „Man kann Gebäudebestand nicht umgehen, muss aber mit ihm umgehen.“ Ein Wandel der kulturellen Werte sei unumgänglich. Ungewiss sind jedoch die Geschwindigkeit und der Umfang, in dem der Wandel von statten gehen soll. Es wurden ästhetische und ethisch Dimensionen der Denkmalpflege abgewogen. Wie kann man ungewünschte Hinterlassenschaften handhaben und den Kurs vergangener Generationen korrigieren?


In „Anders mit Material umgehen“ wurden Baupraktiken überdacht. Ganz nach dem Architekten Luigi Snozzi: „Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung, zerstörte mit Verstand“, wurde daran appelliert jeden Bau als Extraktion von Material an einen anderen Ort zu begreifen. Jeder lokale bauliche Eingriff ist eine energieintensive Umwälzung von Material andernorts. Alternative Materialien werden in den Ausstellungsgeschossen gezeigt.

Themengruppe: "Anders mit Material umgehen"
Themengruppe: „Anders mit Material umgehen“

Thementisch: „Anders Planen und Konstruieren“
Thementisch: „Anders Planen und Konstruieren“

Der Thementisch „Anders Planen und Konstruieren“ forderte neue Verfahren in der Bauplanung. Regulierte Marktlogiken stehen in Dissonanz mit neuen normativen Werthaltungen. Um neue Wege der Raumplanung zu kreieren, sollten Immobilienbesitzer direkt kontaktiert und Ausschreibungsverfahren, sowie Wettbewerbe anders behandelt werden als zuvor.


Die „Anders mit (Bau-)Technik umgehen“-Gruppe reflektierte die Rolle der Technologie im Bauwesen. Viele Fertigungsmethoden und Mittel sind bereits vorhanden, doch die Motivationen sind uneindeutig. Man wurde hier stutzig: „Technology is the answer, but what was the question?“, heißt es beim Architekten Cedric Price. Die RWTH denkt hier mit Hilfe äußerer Parteien ihr beliebtes Themengebiet der Mobilität nicht mehr nur aus technokratischer Perspektive, sondern versteht Mobilität auch als soziale Mobilisierung. Nichtsdestotrotz sind Immobilien etwas Immobiles. Es stellt sich die Frage, ob die Klimaziele in Eile technisch zu lösen sind oder lieber eine Entschleunigung ins Bauwesen eintreten muss.


Insgesamt gibt es weniger ein Erkenntnis- oder Innovationsdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Der Anfang wurde in der Theaterstraße in Aachen gemacht. Die Hochschulen sind sich hier zunehmend ihrer neuen Verantwortung bewusst. Nun muss die „Pilot-Ebene“ der Forschungsprojekte überwunden werden. Statt zu moralisieren, werden hier Situationen kreiert, welche neue Verhältnisse, zwischen Lernenden und Lehrenden fördern und die Öffentlichkeit in die Bauforschung einbezieht. Der Mut dem großen Thema der „Bauwende“ zu begegnen, entsteht aus einer geteilten Unzufriedenheit mit dem Status quo. Bauen heute bedeutet weniger bauen. Der gemeinsame Austausch schafft Hoffnung für die kommenden zwei Wochen und darüber hinaus.

Fotos: Ivo Mayr, Laura Weber
Text: Marlon Brownsword