Projektschau: In den Heimgärten
„In den Heimgärten“, so lautet der beschauliche Name der ebenso beschaulichen Siedlung in Aachen Burtscheid. Die in den 1920er Jahren als Siedlung Branderhof erbaute Wohnlandschaft aus 228 typisierten Reihenhäusern kann als eine Art Manifestation der Gartenstadtbewegung in Aachen gewertet werden. Ihrer architektonischen Bedeutung gemäß wurde die Siedlung seit 2005 durch eine Denkmalbereichssatzung geschützt. Die Gebäude stehen exemplarisch für den deutschen Siedlungsbau aus dieser Zeit.
Das gleichnamige Forschungsprojekts des Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und Historische Bauforschung widmet sich hier exemplarisch den Fragen nach der gewünschten Anpassungen an zeitgemäße Wohnbedürfnisse und der Behebung energetischer Unzulänglichkeiten im Rahmen der denkmalgerechten Sanierung. Zunächst wurden anhand der Dachgaube exemplarisch zwei konstruktive Lösungsmöglichkeiten durchgedacht. Dies soll ein erster Aufschlag sein für die Entwicklung eines systematisierten Katalogs mit bauteilorientierten, energetischen Ertüchtigungen, der auch für andere Fallbeispiele anwendbar ist, da wesentliche Konstruktionsdetails und energetische Schwachpunkte über das gewählte Fallbeispiel hinaus verallgemeinerbar sind. Die Lösungsansätze sollen im sogenannten „Dreiklang der Anforderungen“ den Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Denkmalpflege möglichst gleichsam gerecht werden.
Die mit der Hilfe von Studierenden im Rahmen eines Forschungsfeldes erarbeiteten Ergebnisse werden am Zukunft Bau Pop-up Campus in der Ausstellung im 2. Obergeschoss gezeigt: das Modell einer Gaube zeigt die verschiedenen Lösungen, deren konstruktive Aufbauten beide nach demselben Schema bewertet wurden. Auf einem Bildschirm sind Interviews mit Anwohnenden zu sehen und in einem Regal in der Ecke findet sich eine Materialbibliothek, die eine Auswahl an möglichen Konstruktionsmaterialien anschaulich macht.
Am Abend des 30. Augusts 2022 fand am Abend eine Podiumsdiskussion im Foyer des Pop-up Campus statt. Daran nahmen Dr. Christian Raabe + Stefanie Kerner (LFG Denkmalpflege und Historische Bauforschung der RWTH Aachen), Jo Ruoff (Architekt & Professor für Bauphysik, Klimagerechte Architektur und Entwerfen an der Hochschule Koblenz), Monika Krücken (Stadtkonservatorin der Stadt Aachen), Björn Martenson (Architekt & Professor für Architektonische Grundlagen an der HS München), Sebastian Möhrer (Gebäudeenergieberater bei altbau plus in Aachen), Sebastian Möhrer (Dachdeckermeister & Gebäudeenergieberater) und Lukas Fourné sowie Nikolas Torscheit (beide Anwohner in der Siedlung). Hier wurden verschiedene fachliche Perspektiven und persönliche Bedürfnisse an das Wohnumfeld und über die Sinnhaftigkeit verschiedener Maßnahmen am Bestand diskutiert.
Obwohl der gängige Verdacht geäußert wurde, man könnte den Wunsch nach einer energetischen Sanierung und den Anforderungen der Denkmalpflege als „natürliche Gegner“ betrachten, schienen sich die Diskutanten in vielen Punkten einig zu sein: es braucht weitere Erkenntnisse über den Bestand für eine skalierbare Herangehensweise, gleichzeitig muss selektiv vorgegangen werden, da eine umfassende Gesamtsanierung wohl schwerlich zu erreichen ist. Ein wiederkehrendes Thema waren auch Normen und Standards: wie weit darf bzw. muss man innerhalb der Normen kreativ interpretieren? Oder sollten auch hier andere Möglichkeiten angedacht werden, etwa auf Quartiersebene erarbeitete Lösungsansätze? Müssen (energetische) Standards des Neubaus dem Bestand übergestülpt werden und ist das überhaupt realistisch?
Bei der Sanierung von Gebäuden kommt es nicht selten zu „energetischen Missverständnissen“ – die wichtigste Frage war demnach, wie man die gewonnen Erkenntnisse in die Praxis bringen kann. Die angestrebte Fibel, gefüllt mit konkret formulierten und übertragbaren Lösungsansätzen, will einen Vorschlag dafür formulieren.
Stefanie Kerner, Mitarbeiterin am LFG Denkmalpflege und Historische Bauforschung der RWTH Aachen, gab uns im Interview weitere Einblicke zum Projekt und Ihrer Haltung zum Themenkomplex Denkmalpflege und Sanierung:
Was bedeutet für Sie der Begriff Bauwende?
Bauen wie wir es kennen ist meiner Ansicht nach nicht zukunftsfähig. Wir als Architekten sind hier insbesondere an der Schnittstelle zu Bauunternehmen, Herstellern und der Bauherrenschaft gefragt um gängige Materialitäten, Bauabläufe sowie Herstellungs- und Abstimmungsprozesse zu überdenken und neue zu denken.
Was erwarten Sie vom Zukunft Bau Pop-up Campus?
Ich erwarte hierzu Impulse aus der Forschung, die möglichst niederschwellig der gesamten Gesellschaft zugänglich gemacht werden.
Wie kam es zu dem Forschungsprojekt In den Heimgärten – wieso genau dieser Ort?
In Kooperation mit der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Aachen und aufgrund aktueller Anfragen wurde das Thema und die exemplarische Auseinandersetzung mit der Siedlung angestoßen.
Sie kommen aus der Richtung der Denkmalpflege, mit einem praktischen Blick. Wo sehen Sie in der energetischen Sanierung die größten Konfliktpunkte mit Ihrer Disziplin?
Unser Projekt setzt genau an diesem Punkt der unterschiedlichen Anforderungen aus Ökonomie, Ökologie und Denkmalpflege an. Meiner Einschätzung nach ist die größte Herausforderung hier Lösungsansätze zu finden, die weniger als erzwungene Kompromisslösung sondern mehr als optimale Lösung für alle Beteiligten verstanden werden.
Wie bewerten Sie die Perspektive der Nutzer*innen? Zeichnet sich in den vergangenen Jahren mit dem wachsenden Bewusstsein für die Klimakrise ein vermehrtes Bedürfnis nach Sanierung ab und welche Schwachstellen werden von den Bewohnenden primär adressiert?
Auf jeden Fall wächst die Anfrage nach den Möglichkeiten der energetischen Sanierung, wobei es bei der Siedlung In den Heimgärten auch fast immer darum geht, die ursprünglich extrem beengte Wohnsituation aufzubrechen und durch kreative Ansätze, sei es eine Einbeziehung des rückwertigen Gartens, sei es ein intelligenter Dachausbau, zu erweitern.
Welches Sanierungsprojekt am Wohnbaubestand, egal wo, hat Sie in den letzten Jahren besonders überzeugt?ert?
Als ein zu unserem Projekt artverwandtes aber unvergleichlich prominenteres Beispiel (seit 2008 UNESCO Welterbe Berliner Siedlungen der Moderne) kann hier natürlich die Hufeisensiedlung in Berlin von Bruno Taut genannt werden.
Fotos: Daniel Lohmann (Luftbild Siedlung), LFG Denkmalpflege und Historische Bauforschung der RWTH Aachen (Siedlung), Marlene Maier
Text: Marlene Maier